Der Weg zur CO₂-freien Mobilität
Interview mit Heinz Bühl
Um den Ausstoß von CO2 zu reduzieren, sind alternative Antriebe eine der Lösungen für die Energiewende und zur Erreichung der Ziele des Pariser Klimaabkommens. Im Interview erklärt Heinz Bühl, Vice President New Product Entry, warum saubere Mobilität eng mit dem zukünftigen energiewirtschaftlichen Gesamtkonzept zusammenhängt und wie das MANN+HUMMEL Produktportfolio dem schon heute Rechnung trägt.
Herr Bühl, Sie waren lange im Bereich Motorenentwicklung tätig. Was reizt Sie an Ihren neuen Aufgaben als Vice President New Product Entry?
Neben meinem Interesse für die Motorenentwicklung hat mich das Thema Energiewirtschaft dazu bewogen, Maschinenbau zu studieren. Inzwischen hat sich gezeigt, dass es beim Einsparen von CO2 nicht mehr in erster Linie darum geht, neue Motoren zu entwickeln, sondern darum, neue Energieformen nutzbar zu machen. Dazu müssen wir über den Transport hinausdenken. Das Ziel ist es, unsere komplette Industrie CO2-frei zu bekommen. Da rund 70 Prozent der Energie industriell, im Gewerbe und in den Haushalten genutzt werden und lediglich 30 Prozent für den Verkehr, ist die Antriebsform der Zukunft nur eine Komponente des energiewirtschaftlichen Gesamtkonzepts. Unser Produktportfolio zeigt schon heute, dass wir diesen ganzheitlichen Ansatz mittragen: Wir bieten Lösungen für alle Antriebsformen. Zusätzlich haben wir auch zahlreiche Produkte entwickelt, die die CO2- und Feinstaubbelastung der Umwelt verringern. Diese Vielfalt weiter voranzutreiben, ist spannend.
Beruflicher Werdegang
Heinz Bühl studierte Maschinenbau und war zunächst zwölf Jahre in der Motorenentwicklung aktiv. Seit 2001 arbeitet er bei MANN+HUMMEL. Nach verschiedenen Verantwortungen im Entwicklungsbereich und der technischen und kommerziellen Verantwortung des Produktsegments Saugrohre, übernahm er Anfang 2019 die Aufgabe der Markteinführung neuer Produkte als Vice President New Product Entry.
Wie bleibt MANN+HUMMEL bei den Entwicklungen up-to-date?
Seit Anfang des Jahres sind wir Mitglied im „Hydrogen Council“, einem Zusammenschluss von über 80 weltweit führenden Unternehmen aus den Bereichen Energie, Transport und Industrie. In Zusammenarbeit mit politischen Entscheidungsträgern, internationalen Behörden und der Öffentlichkeit wollen wir Wasserstoff als eine der zentralen Lösungen für die Energiewende etablieren.
Generell arbeiten wir aber in allen Bereichen ganz eng mit unseren Kunden zusammen. Mit Ihnen gemeinsam entwickeln wir zunächst Lösungen in kleineren Projekten und versuchen diese dann in Serienprojekte einzubringen. Dabei ist es uns wichtig, sowohl bei Batterieherstellern, als auch bei Produzenten von Brennstoffzellenstacks von Anfang an bei allen Entwicklungen involviert zu sein. Das ist wichtig für das Systemverständnis und das wiederum ist die Voraussetzung dafür, gute Produkte zu entwickeln.
Hat einer der alternativen Antriebe Ihrer Ansicht nach die Nase vorn?
Die CO2-freie Industrie funktioniert nur über die Nutzung regenerativer Energien, von denen wir auf der Erde eine Menge haben – also Wind- und Wasserkraft sowie Solarenergie. Das optimale Speichermedium für die so gewonnene Energie ist Wasserstoff. Wasserstoff und Sauerstoff lassen sich mithilfe einer Brennstoffzelle in elektrische Energie umwandeln. Wenn das für die Industrie funktioniert, gibt es keinen Grund, warum der Brennstoffzellenantrieb nicht auch für Fahrzeuge die erste Wahl sein sollte. Das haben auch Länder erkannt, die bisher stark auf Batterieantriebe fokussiert waren. China beispielsweise hat die Förderungen für die Batterieantriebe im vergangenen Jahr gestrichen, während die für Brennstoffzellen weiterlaufen. Ähnlich verhält es sich in den USA. Die Brennstoffzellentechnologie hat einige Vorteile, die nicht von der Hand zu weisen sind: Die Betankung der Fahrzeuge ist deutlich schneller als das Laden einer Batterie an der Steckdose, die Reichweite ist höher und vor allem bei großen Fahrzeugen punktet die Brennstoffzelle mit weniger Gewicht.
Wenn Sie die Brennstoffzelle favorisieren, warum forciert MANN+HUMMEL dann auch die Entwicklung von Lösungen für andere Antriebsformen?
In Deutschland sind rund 45 Millionen Fahrzeuge auf den Straßen und pro Jahr kaufen Kunden 3,5 Millionen neue Fahrzeuge. Allein diese Zahlen machen deutlich, dass eine Umstellung der gesamten Fahrzeugpopulation auf eine Antriebsform sehr lange dauert. In der Zwischenzeit werden wir definitiv alle vorhandenen Antriebsarten brauchen, um eine sichere und mit der Zeit auch immer nachhaltigere Mobilität zu gewährleisten. Neben Batterie- und Brennstoffzellenfahrzeugen wird aus meiner Sicht auch der Verbrennungsmotor noch lange eine wichtige Rolle im Antriebsmix spielen. MANN+HUMMEL verfolgt die Strategie, breit aufgestellt zu sein und für alle Anforderungen Lösungen anzubieten. Dabei hilft uns entscheidend das Know-how, das wir über Jahrzehnte in der Filtration und beim Verbrennungsmotor gesammelt haben.
Können Sie dazu ein Beispiel nennen?
Bei der Brennstoffzelle muss die Ansaugluft ebenso von Partikeln gereinigt werden, wie beim Verbrenner. Zusätzlich ist die Filtration von Schadgasen wie Schwefeldioxid (SO2), Stickoxiden (NOX) und Ammoniak (NH3) zum Schutz des Katalysators sowie eine perfekte Luftbeschaffenheit wichtig. Viele Konzepte, die beim Verbrennungsmotor zum Einsatz kommen, können wir auf die Brennstoffzelle übertragen. So helfen uns beispielsweise unsere Kompetenzen bei der Innenraumfiltration, bei Verdichtern, der Luftkühlung, der Wasserabscheidung und der Geräuschdämpfung. Mit diesem Know-how haben wir das Luftführungssystem für den Kathodenpfad von Brennstoffzellenfahrzeugen entwickelt und dabei konsequent unsere Strategie „von der Komponente zum System“ verfolgt. Das Ergebnis ist ein ganzheitliches System, das mit der künftigen Reduzierung von Platin im Katalysator der Brennstoffzelle noch weiter an Bedeutung gewinnen wird. Denn je weniger Platin in der Zelle steckt, desto günstiger wird sie. Die Voraussetzung der Reduzierung ist aber eine immer reinere Ansaugluft. Dafür sorgt das Luftführungssystem schon jetzt und unsere Filtrationsspezialisten arbeiten weiter an Optimierungen.
Sie bieten aber auch Lösungen für den Batterieantrieb?
Für Batterieanwendungen haben wir auch einige Produkte entwickelt. Ich möchte gerne zwei Lösungen besonders hervorheben. Das erste ist ein Ölfiltersystem für E-Achsen und Hybridgetriebe. Jedes Fahrzeug, das an der Vorder- oder Hinterachse einen elektrischen Motor hat, benötigt eine E-Achse – also auch Brennstoffzellen- und Plug-In-Fahrzeuge. Die E-Achse kombiniert den Elektromotor, die Leistungselektronik und das Getriebe zu einer kompakten Einheit, die direkt in die Antriebsachse integriert ist. Zum Schmieren und Kühlen aller Komponenten gibt es einen gemeinsamen Ölkreislauf. Allerdings sind dessen Aufgaben sehr komplex. MANN+HUMMEL hat speziell für diese Anwendung ein hocheffizientes Ölfiltersystem entwickelt.
Die zweite wichtige Entwicklung ist unser intelligentes Innenraumfiltersystem FreciousSmart. Es prüft mithilfe von Sensoren kontinuierlich die sich verändernde Innen- und Außenluftqualität und passt die Filtrationsleistung automatisch an die Gegebenheiten an.
Damit ist sichergestellt, dass die Fahrzeuginsassen stets die beste Luft atmen – unabhängig davon, ob sie über Land fahren oder im städtischen Stau stehen. Darüber hinaus reduziert die intelligente Steuerung des Systems den Energieverbrauch von batteriebetriebenen Fahrzeugen, für die das Innenraumfiltersystem ursprünglich konzipiert wurde.
Was heißt „ursprünglich für batteriebetriebene Fahrzeuge konzipiert“?
Auch Insassen von Fahrzeugen mit anderen Antrieben wünschen sich saubere Luft im Fahrzeuginnern. Für unsere Kunden ist das zunehmend ein Verkaufsargument. Deshalb machen sich immer mehr Hersteller Gedanken darüber, intelligente Innenraumfiltersysteme in ihre Fahrzeuge zu integrieren. Dieses Filtrationskonzept zeigt ebenso wie das Beispiel des Ölfiltersystems, wie sich die meisten unserer Entwicklungen antriebsübergreifend verwenden lassen. Außerdem sind alle unsere Lösungen einfach skalierbar. Das heißt, sie können sowohl im Pkw als auch in Nutzfahrzeugen zum Einsatz kommen.
MANN+HUMMEL treibt aber nicht nur die saubere Luft im Innern von Fahrzeugen, richtig?
Nein. Bessere Luft ist generell ein Thema für uns. So versuchen wir mit unserem Bremsstaubpartikelfilter den Feinstaubausstoß direkt an der Quelle zu reduzieren. Und unser im Frontend integrierter Feinstaubpartikelfilter sammelt aktiv und passiv während des Fahrens Schmutz aus der Umgebungsluft: Das Fahrzeug wird zum Luftreiniger. Beide Konzepte passen für alle Fahrzeugkategorien, unabhängig vom Antrieb. Für Lkws und andere industriell genutzte Fahrzeuge bieten wir zusätzlich als Standardprodukt den Feinstaubpartikelfilter als Dachbox- und Unterbodenlösung an, die ähnlich wie der ins Frontend integrierte Filter funktionieren.
Ein weiteres Beispiel sind die Feinstaubsäulen, die wir weltweit schon in mehreren Städten im Einsatz haben und durch verschiedene bereits angestoßene Projekte weiter ausbauen werden. Im Bereich Feinstaubreduzierung sehen wir noch Potential, beispielsweise durch die effiziente Filterung des Reifenabriebs, der einen Großteil des Mikroplastiks in unseren Meeren ausmacht. Bei all diesen Lösungen hat uns unser Filtrations-Know-how geholfen. Es ist diese Übertragungskompetenz, die unsere Kunden schätzen und der sie vertrauen.
Dann schauen Sie optimistisch in die Zukunft?
Ja, sehr. Wir sind nicht umsonst als Tier 1-Lieferant eingestuft und so wollen wir uns auch in Zukunft positioniert wissen. Saubere Antriebe und neue Wege der CO2-Reduzierung werden uns die nächsten Jahre ebenso beschäftigen wie die Herausforderungen der Digitalisierung. Aber Entwickler sind von Natur aus neugierig und alles Neue verspricht spannende Lösungsmöglichkeiten. Deshalb bietet uns die Zukunft eher Potentiale, als dass sie Risiken birgt.